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Fünf Beispiele: Chancen durch KI in Landwirtschaft, Gesundheit, Ehrenamt, Tourismus und Mobilität in RLP

Wo liegen die Potenziale von künstlicher Intelligenz und Digitalisierung mit besonderem Blick auf das kommunale Leben in Rheinland-Pfalz? Die KI-Studie benennt fünf Beispiele: Landwirtschaft, Gesundheit, Ehrenamt, Tourismus und Mobilität.

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus der „Gutachterlichen Stellungnahme zu den Auswirkungen künstlicher Systeme und der Digitalisierung auf das kommunale Leben in Rheinland-Pfalz 2050“. Die gesamte Studie steht unter ea-rlp.de/earlpdigital2019 zum Download als PDF (88 Seiten, 18 MB) bereit.

Auszug 1 – Künstliche Intelligenz: Konzepte und Technologien
Auszug 2 – Fünf Beispiele: Chancen durch KI in Landwirtschaft, Gesundheit, Ehrenamt, Tourismus und Mobilität in RLP
Auszug 3 – Szenarien für Rheinland-Pfalz: Zwischen Dystopie und Utopie

Zusammenfassung

Autorinnen und Autoren: Matthias Berg (Fraunhofer IESE), Christoph Giehl (Stadtsoziologie TU Kaiserslautern), Matthias Koch (Fraunhofer IESE), Martin Memmel (DFKI), Annette Spellerberg (Leitung; Stadtsoziologie TU Kaiserslautern), Ricarda Walter (Stadtsoziologie TU Kaiserslautern); unter Mitarbeit von: Steffen Hess, Andreas Jedlitschka, Michael Klaes, Dieter Lerner, Adam Trendowicz (Fraunhofer IESE).

Potenziale im Bereich Landwirtschaft am Beispiel der Planungsregion Rheinpfalz

(Foto: Unsplash)

Digitalisierung und KI in der Landwirtschaft versprechen Ressourcen- und Arbeitseinspa­rungen bei gleichzeitig höheren Erträgen. Diesen Potenzialen kommt angesichts der Her­ausforderungen in den kommenden Jahren eine hohe Bedeutung zu, welche laut der Deut­schen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) in der weltweit wachsenden Bevölkerung inklu­sive deren Versorgung und damit zusammenhängend in der Verschärfung des internatio­nalen Wirtschaftsraums für Nahrungsmittel liegen. Damit die deutsche Landwirtschaft angesichts solcher Entwicklungen wettbewerbsfähig bleibt, muss die Landwirtschaft 4.0 aus­gebaut werden, wofür als Grundvoraussetzung ein stabiles, flächendeckendes Breitband­netz existieren muss (Bayerisches landwirtschaftliches Wochenblatt 2018).

Kernbegriffe besagter Landwirtschaft 4.0 sind Landmanagement, Risikomanagement (zum Beispiel bei Dürren), intelligente Agrartechnik und Bewirtschaftung (Klärle 2018; Kuhn 2018; Lutz 2017; Schmidt 2018). Um wettbewerbsfähig zu bleiben und die Ernäh­rungswirtschaft in Deutschland halten zu können, müssen diese technologischen Poten­ziale genutzt und vor allem von den beteiligten Menschen benutzt und verstanden, sprich akzeptiert werden (Bayerisches landwirtschaftliches Wochenblatt 2018; Reinecke 2015, 66).

Im Bereich des Landmanagements liegen die Möglichkeiten vor allem in einer effizienteren und gerechteren Landnutzung durch Flurbereinigungsverfahren, die sich an Geodaten und Ansprüchen der Nutzer orientieren. Durch die Anwendung von KI lassen sich Flächen po­tenziell schneller und gerechter sowie auf Bedürfnisse abgestimmt verteilen. Klärle spricht hierbei von einem „agilen Landmanagement” (Klärle 2018, 38), also einer weitestgehend selbstorganisierten Bodenordnung, in welcher Landwirte, Naturschützer, Kommunen und ganz allgemein „Flächennutzer” zu Akteuren werden und „Flurbereiniger” hintergründig im Rechtsbereich agieren. Am Beispiel der Flurbereinigung zeichnet sich ab, dass Eigentum zugunsten der Nutzung an Zentralität verliert, beweglicher wird und somit schnellere Re­formen möglich werden (ebd.).

Weitere Möglichkeiten, die durch Digitalisierung und KI entstehen, sind autonom fahrende Landmaschinen, die mit Steuergeräten, Kameras, Radarsensoren und automatischen Systemen zur Lenkung per Satellitensignal ausgestattet sind. Auch ermöglicht der techni­sche Fortschritt die Präzisionslandwirtschaft (,,Precision Farming”), mit der der Landwirt Düngung, Bewässerung und Schädlingsbekämpfung über Sensortechnik, Geodaten, Drohneneinsatz, Satellitentechnik, loT und maschinelles Lernen exakter, einfacher und kostengünstiger steuern kann. Auch in der Viehhaltung kann solche Sensortechnik zum Einsatz kommen (Bayer 2018; Deutscher Bauernverband 2018; Lutz 2017, 435-439).

Ein generelles Problem liegt in der Verfügbarkeit der Daten sowie in der Frage, inwieweit diese öffentlich sein können, da die Verfügbarkeit nicht zur Überwachung der Landwirte führen darf. Die Datenhoheit muss also bei den Landwirten liegen. Zudem soll Landwirt­schaft 4.0 nicht von der Größe der Betriebe abhängig sein, schreibt der Deutsche Bauern­verband: ,,Über Maschinenringe, Lohnunternehmen und andere Formen der Zusammen­arbeit seien grundsätzlich alle Betriebe in der Lage, Nutzen aus der neuen Technikent­wicklung zu ziehen und damit schnell ökonomische, soziale und ökologische Fortschritte zu erzielen” (Deutscher Bauernverband 2018).

Dieser technische Fortschritt ist insofern von besonderer Bedeutung für das Land Rhein­land-Pfalz, als dass der Anteil der Landwirtschaftsfläche im gesamten Bundesland bei 41, 5 % liegt (42 % Wald, 14, 3 % Siedlungs- und Verkehrsflächen). Eine besondere Be­deutung kommt hierbei dem Weinbau als wichtigstem Produktionszweig der rheinland­pfälzischen Landwirtschaft zu, da rund 44 % aller landwirtschaftlichen Betriebe im Land Rebflächen bewirtschaften. Als weiterhin bedeutsam gilt der Anbau weiterer Sonderkultu­ren wie etwa Gemüse (Gutachterausschüsse RLP 2017). Dies trifft insbesondere für die Planungsregion Rheinpfalz zu, in deren Gebiet sich gleich zwei landwirtschaftlich bedeut­same Regionen, die „Deutsche Weinstraße” und der „Gemüsegarten Deutschlands” be­finden. 2007 wurden 42 % der Fläche in der Region Rheinpfalz als Landwirtschaftsfläche ausgezeichnet, darunter 25.000 ha für den Weinbau und 13.000 ha für Freilandgemüse.

Begünstigt wird die Landwirtschaft in der Region durch das besondere Klima sowie die flächenhafte Beregnung, welche zu hohen Erträgen führt.

Um den künftigen Herausforderungen im Bereich der Landwirtschaft zu begegnen, ist es somit unabdingbar, die Möglichkeiten neuer technologischer Entwicklungen (Landwirt­schaft 4.0) zu nutzen und gleichzeitig das Potenzial der landwirtschaftlich genutzten Räume für Naherholung und Tourismus zu erhalten. Denkbar wäre hier beispielsweise die partizipative Nutzung von Sensordaten der verschiedenen Anbauflä­chen, um Landwirten Möglichkeiten zur Präzisionslandwirtschaft zu bieten. Darüber hin­aus wird ein hohes Potenzial in genossenschaftlichen Organisationsformen wie Maschi­nenringen gesehen, wie sie bereits heute existieren.

Potenziale im Bereich Gesundheit und Pflege am Beispiel der Planungsregion Rheinhessen-Nahe

(Foto: Unsplash)

Medizin und Pflege sind Felder, die geprägt sind von Mensch-Mensch-Interaktionen und deswegen soziale, normative und ethische Komponenten beinhalten, die bei der Digitali­sierung und bei der Implementierung von KI beachtet werden müssen. Da der pflegende und medizinische Bereich sehr vielfältig ist, sind es die Technologien ebenfalls.

Die Potenziale von KI liegen derzeit in der Diagnose, Prognostik und Prävention. KI findet vor allem in der Nutzung von Assistenzprogrammen Anwendung und soll „arztunterstüt­zend, nicht arztersetzend” sein (Ärzteblatt.de 2017). Medizintechnik-Experten vermuten, dass 50 % der Kliniken in den kommenden fünf Jahren künstliche Intelligenz implementie­ren werden (Hänssler 2018). Inzwischen belegen Studien den großen Nutzen intelligenter Systeme, die mit lernenden Softwarealgorithmen arbeiten, beispielsweise für bildgestützte Diagnoseverfahren in der Gastroenterologie (softwaregestützte Endoskopie) oder Radio­logie (verbesserte Röntgen- und MRT-Aufnahmen), die den Auswertungsprozess be­schleunigen und dem Arzt mehr Zeit für den Patientenkontakt ermöglichen. Bedingung hierfür ist die Datenverfügbarkeit, welche technische und ethische Schwierigkeiten birgt. Trainingsdatensätze für Lernalgorithmen müssen validiert sein, das heißt, die Lerndaten für die Algorithmen müssen auf einer sicheren Diagnose, auf verlässlichen Grundannah­men und deutbaren Studien basieren, um zu sicheren Diagnosen führen zu können. Diese Daten existieren jedoch nur für häufig vorkommende Krankheitsbilder. Hinzu kommt das Problem des Datenschutzes. Einerseits besteht die Sorge, dass beim Datenaustausch zwischen Kliniken, Forschungseinrichtungen und Unternehmen Daten an unbefugte Dritte gelangen, andererseits würden Erkrankte von der KI – und somit von der Freigabe ihrer medizinischen Daten – profitieren. Krankenkassen z.B. haben großes Interesse an diesen Daten, könnten daraus mögliche Risikogruppen ableiten und deren Beiträge erhöhen (Ärz­teblatt.de 2017; Gehring et al. 2018; Deckweiler 2015; Hänssler 2018; Jarasch et al. 2018).

Im Bereich der Telemedizin und Pflege soll durch das neue eHealth-Gesetz (Deckweiler 2015) ermöglicht werden, dass Videosprechstunden eine reguläre Leistung der gesetzli­chen Krankenkassen sind. Durch den Einsatz mobiler Endgeräte und neuer Software kann die Pflegedokumentation entbürokratisiert werden. Im ländlichen Raum könnte durch per­sönliche Assistenzsysteme und Telemedizin die Versorgung von Patienten gewährleistet werden. Das Zurücklegen weiter Strecken wird für den Patienten reduziert und für Pflege­personal optimiert. Durch Apps und Wearables, die Vitalfunktionen messen und speichern, sowie über Sensoren im Haushalt soll die Autonomie von pflegebedürftigen Menschen gestärkt werden. In der mobilen Pflege werden sogenannte digitale Tourenbegleiter ein­gesetzt, die mit der Pflegezentrale in Verbindung stehen. (Bleses et al. 2018, 1; Deckweiler 2015, 6; Lutze 2017; Lux et al. 2017, 687, 691; Rashidi und Mihailidis 2013; Simon et al. 2018, 299f; Ambient Assisted Living Deutschland).

Schon jetzt steigt in der Gruppe der Senioren die Nachfrage nach Betreuungs- und Pflegeangeboten aufgrund der zunehmen­den Pflegebedürftigkeit und aufgrund der qualitativen Ansprüche an die Pflege. Die voran­schreitende Auflösung von generationenübergreifenden Familien und damit zusammen­hängend der Rückgang der häuslichen Pflege von Angehörigen verursacht eine deutliche Zunahme von Personen, die in öffentlichen, karitativen oder privaten Einrichtungen zu be­treuen und zu pflegen sind. Ein Ausbau dieser Angebote sowie die Etablierung neuer Wohnformen stellt daher auch im ländlichen Raum eine Herausforderung für die Kommu­nen dar (PRN 2007, 27).

Für die Planungsregion Rheinhessen-Nahe zeigen Modellrechnungen zur Bevölkerungs­entwicklung, dass sich der Anteil der Hochbetagten (75 Jahre und älter) fast verdreifachen wird. Ihnen werden nach diesem Modell dann lediglich 16,7 % der Bevölkerung unter 20 Jahren gegenüberstehen. Gleichzeitig zeichnet sich die Region durch ihre vielen Kurorte und Salinen wie etwa in Bad Münster am Stein und Bad Kreuznach als „Zentrum für Ge­sundheit und Pflege” aus (PRN 2007). In der Rheinhessen-Nahe-Region gibt es derzeit 14 ambulante Altenbetreuungen und 18 Alten- und Pflegeheime, zudem ein medizinisches Zentrum und vier Kliniken, 63 allgemeinmedizinische Praxen, 56 Zahnarztpraxen und 38 fachärztliche Praxen (PRN 2007, 26). Fraglich ist, ob mit dem Sinken der Bevölkerungs­zahlen vor allem im ländlichen Westen der Region der Schlüssel an Arztpraxen erhalten bleiben kann.

AmbientAssisted Living (ML) und Telemedizin können aber gerade im ländlich geprägten Westen Möglichkeiten für die Aufrechterhaltung der Pflege und medizinischen Versorgung bieten, wenn sie ausgebaut und vor allem angenommen werden. Innovationsprognosen aus Medizin und Pflege, vor allem im Bereich der KI, lassen vermuten, dass einige Krank­heiten wie Diabetes Typ 2 besser zu behandeln sein können oder gar verhindert werden können. Mit dem Ansteigen der Zahl an älteren und pflegebedürftigen Menschen gilt es generell, neue Wohn- und Pflegekonzepte zu fördern, die medizinisch ausgestattet sind und soziale Teilhabe garantieren. Dafür ist es notwendig, die Technikakzeptanz zu fördern und Aufklärungsarbeit zu leisten. In der Pflege muss die Aufmerksamkeit auf das Pflege­personal gelegt werden, da die Digitalisierungsprozesse momentan im Großen und Gan­zen der Unternehmensorganisation dienen, was zu einer Mehrbelastung des Pflegeper­sonal führt. Dieses Arbeitsfeld muss angesichts der Bevölkerungsentwicklung attraktiver und fairer gestaltet werden (Simon et al. 2018, 303ff).

Potenziale im Bereich Ehrenamt am Beispiel der Planungsregion Mittelrhein-Westerwald

In seiner Rede zur Verleihung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland zum Tag des Ehrenamtes 2012 nannte der damalige Bundespräsident Joachim Gauck freiwil­liges Engagement von Bürgerinnen und Bürgern nicht bloß ein „nettes Plus, [sondern] un­verzichtbarer Bestandteil unserer Bürgerkultur” (Bundespräsidialamt 2012). Auch der Deutsche Städtetag ist sich einig, dass ohne das Ehrenamt das Gemeinwesen und zahl­reiche Angebote in den Kommunen in ihrer jetzigen Form nicht denkbar wären (Deutscher Städtetag 2006). Diese Betrachtung lässt sich im Wesentlichen darauf zurückführen, dass freiwillig Engagierte in zahlreichen gesellschaftlichen Bereichen des sozialen Lebens we­sentliche Funktionen übernehmen.

(Foto: Unsplash)

Sei es in der Pflege und der sozialen Betreuung, in der Bildung und im beruflichen Kontext, im Tier-, Umwelt- und Katastrophenschutz oder im Freizeitbereich wie etwa in Sportvereinen. Fakt ist: Ohne die vielen freiwillig engagierten Helfer wären einige dieser Dienste und Leistungen nicht realisierbar, wodurch dem Ehren­amt eine tragende Rolle für die zivilgesellschaftliche Ordnung zukommt (Redmann 2018).

Herausforderungen für dieses Konzept bestehen insofern, dass durch den gesellschaftli­chen und demografischen Wandel eine flächendeckende Sicherung solcher Angebote und Dienstleistungen künftig nicht mehr gewährleistet werden kann. So geht das Statistische Bundesamt davon aus, dass die Bevölkerung Deutschlands bis zum Jahr 2050 von ca. 82 Mio. auf ca. 76 Mio. sinken wird, wobei die ländlichen Regionen besonders vom Bevölke­rungsrückgang betroffen sein werden. Auch wird eine Veränderung der Altersstruktur in der Bevölkerung zu beobachten sein: So wird der Anteil der unter 20-Jährigen auf 16,2 % sinken, während der Anteil der über 60-Jährigen auf 37 ,6 % ansteigen wird (Statistisches Bundesamt 2015b). Ein erhöhter Bedarf vor allem in den Bereichen Soziales, Pflege und Gesundheit, aber auch in der Politik, im Katastrophenschutz, in der Freizeit und Kultur wird die Folge sein (Redmann 2018). Jedoch wird dieser in seiner jetzigen Form durch einen Rückgang der (körperlich) belastbaren Bevölkerungsschichten nicht mehr zu decken sein wird. Es wird somit zunehmend problematisch werden, tragende ehrenamtliche Positionen zu besetzen.

Chancen, um diesen Herausforderungen zu begegnen, werden auch hier in der Digitali­sierung und der Anwendung intelligenter Systeme gesehen. Die neuen Techniken ermög­lichen es, menschliche, oft einfache Tätigkeiten durch den Einsatz von Maschinen und Robotern zu ersetzen (Redmann 2018), was beispielsweise im Bereich des Katastrophen­schutzes von zunehmender Bedeutung sein wird. Auch die ehrenamtliche Gesundheits­vorsorge und Pflege kann auf zahlreiche Lösungsansätze bauen, welche der technische Fortschritt ermöglicht. Ebenso werden freiwillig organisierte Bildungsangebote (durch die digital ermöglichte Dezentralität) die kommenden Herausforde­rungen des demografischen Wandels abmildern, sodass die Technik zielgerichtet und sinnvoll Anwendung findet.

Zudem verändern sich durch die digitale Technik das Bezie­hungsverhalten, die Kommunikationswege und damit nicht zuletzt Organisationsstruktu­ren selbst, da Menschen sich vernetzen und kommunizieren können, ohne dabei am glei­chen Ort sein zu müssen. Um diesen Veränderungen begegnen zu können, benötigen vor allem traditionelle ehrenamtliche Institutionen Engagierte, die ihre Organisation und ihr individuelles Engagement innovativ an die Zukunft anpassen, Veränderungen aufge­schlossen begegnen und sich miteinander vernetzen und verbinden (Redmann 2018).

Eine besondere Bedeutung kommt dem Ehrenamt innerhalb der Planungsregion Mittel­rhein-Westerwald deswegen zu, da diese die flächenmäßig größte Region innerhalb von Rheinland-Pfalz darstellt, welche zudem künftig von relativ starken Bevölkerungsrückgän­gen gekennzeichnet sein wird und über ausgeprägte ländliche Räume verfügt, wodurch die Auswirkungen des demografischen Wandels hier besonders spürbar sein werden. Aber auch in den städtischen Räumen entlang des oberen Mittelrheintals wird das Ehrenamt vor neuen Herausforderungen stehen, da nicht zuletzt eine der Visio­nen für ein Zukunftsbild des Oberen Mittelrheintals im Rahmen des „Masterplans Welterbe Oberes Mittelrheintal” darin besteht, dass das Welterbe-Gebiet sich attraktiver und mit re­gionaler Identität darstellt, wofür verstärktes ehrenamtliches Engagement entwickelt wer­den soll (MWKEL 2014).

Es ergibt sich somit das Bild einer prekären Lage im Spannungsfeld zwischen erhöhter Nachfrage an ehrenamtlichem Engagement und gleichzeitigem Rückgang des Angebots. Will man dieser Herausforderung begegnen, um die auf dem Ehrenamt gestützten Ange­bote zu sichern, müssen neue Formen der Organisation etabliert werden, welche durch den technischen Fortschritt begünstigt werden können. So ist beispielsweise vorstellbar, dass ehrenamtlich organisierte Institutionen der Daseinsvorsorge wie etwa die freiwillige Feuerwehr gerade im ländlichen Raum größere Gebiete abdecken, dafür aber durch um­fangreiche technische Hilfsmittel wie etwa Drohnen, eine bessere Sensorik zur Katastro­phenfrüherkennung, Lösch- und Räumroboter etc. unterstützt werden, um dem größeren Abdeckungsbereich und dem schwindenden Personal mit mehr Effizienz zu begegnen. Notwendig sind hierfür jedoch vor allem Investitionen in die entsprechende Infrastruktur und eine klare Zuordnung der entsprechenden Verantwortlichkeiten.

Potenziale im Bereich Tourismus am Beispiel der Planungsregion Trier

Der Tourismus als Wirtschaftsbranche wird bereits seit langer Zeit als Informationsge­schäft wahrgenommen (Schertler 1994). Entsprechend nutzte die Tourismusbranche seit jeher schon früh und zeitnah die jeweils verfügbaren technologischen Möglichkeiten wie etwa Telegrafie, Telefon, Telefax und das Internet, um benötigte Informationen bereitzu­stellen (Sieger und Beritelli 2018). Entsprechend ist zu erwarten, dass auch Digitalisierung und KI deutliche Spuren in der Art und Weise hinterlassen werden, wie und wohin Men­schen künftig reisen, welche Angebote zur Verfügung stehen werden und wie Kunden und Anbieter in Kommunikation treten.

(Foto: Schwarze)

Bezüglich solcher Zukunftsprognosen zeichnen Experten der Branche zwei polarisierende Bilder. Einerseits wird die Zukunft in KI-Anwendungen gesehen, welche untereinander op­timale und individualisierte Angebote aushandeln, Testbesuche mittels virtueller Realität ermöglichen, autonome Fahrzeuge zur Erweiterung der Mobilität und des Erlebnisraums steuern und Roboter als Dienstleister ermöglichen (Weiler 2017). Andererseits wird zu­gleich eine Zunahme von “Slow Travel und Nachhaltigem Tourismus, Spiritualität und Ret­ropie, Charity-Reisen und Volunteer Tourism, Digital Detox und Dark Sky Destinations” (Leicher 2018) erwartet.

Dabei müssen sich diese beiden Szenarien keinesfalls ausschließen, sondern sind viel­mehr ergänzend zu verstehen. So kann die Technologie beispielsweise dabei helfen, Rei­seziele durch neue Angebote interessanter oder Geschichte durch Augmented Reality o­der Virtual Reality erlebbarer zu machen. Bereits heute werden (virtuelle) Nachbauten von einem breiten Publikum akzeptiert und teilweise sogar als schöner, sauberer und sicherer als die jeweiligen Originale empfunden (Leicher 2018). Das Virtuelle kann das Analoge somit sinnvoll ergänzen oder gar ersetzen, wenn Zeit bzw. Geld für ‘echte’ Reisen knapp wird oder wenn Reisende aus anderen Gründen nicht reisen können oder wollen (Weiler 2017). Mit Google Arts & Culture werden bereits über 200 Exkursionen wie etwa zur Chi­nesischen Mauer oder zum Louvre angeboten; parallel hierzu wird an ‘Google Vision’, ei­ner Augmented Reality App, sowie an ‘Google Trips’, einer Reise-App gearbeitet, welche durch Deep Learning die ‘Customer Journey’ einfacher, kundenfreundlicher und individu­alisierter machen sollen (Heckmann 2017).

So wird die Digitalisierung die Qualität der Produkte in jedem Fall verändern, gerade dann, wenn Teile der Interaktion zwischen Kunden und Anbietern entfallen (Serviceroboter, On­line Check-in etc.). Für ein bestimmtes Segment von Kunden sind solche Veränderungen sicherlich wünschenswert, während andere Segmente weiterhin die menschliche Interak­tion bevorzugen werden, weshalb die Tourismusbranche bei der Planung von tragfähigen Zukunftskonzepten die Wirkung auf die Positionierung und den wahrgenommenen Kun­dennutzen in jedem Fall berücksichtigen muss (Beiz und Sieger 2006; Sieger und Beritelli 2018).

Diesbezüglich gilt es demnach zu berücksichtigen, dass Reisende mit zunehmender Digi­talisierung auch immer mehr das „offline Sein” in ihre Reisepläne integrieren und dass ein zunehmendes Bedürfnis nach Heimat, Lokalität, Überschaubarkeit, Entschleunigung und Gesundheit zu beobachten ist (Leicher 2018). Regionaltypische Elemente wie Küche, Un­terkunftsform, Bauweisen und Materialien tragen zur Identitätsbildung und Differenzierung bei und werden zum Positionierungsmerkmal (Pflüger et al. 2015). Auch gibt es bereits Hotels, welche sich durch den Verzicht auf Technik auszeichnen und in welchen Reisende beispielsweise für die Dauer ihres Aufenthaltes ihr Smartphone abgeben (Digital Detox). Damit einhergehend werden zunehmend sogenannte „Lichtschutzgebiete” (In Deutsch­land: Sternenparks) ausgewiesen, in welchen die „Lichtverschmutzung” nachts auf ein Mi­nimum reduziert wird (Leicher 2018).

Neben diesen Entwicklungen existieren in der Tourismusbranche jedoch auch Trends, auf welche diese nicht steuernd eingreifen kann und welche insbesondere Auswirkungen auf Reiseziele im Inland haben werden. Eine davon ist der demografische Wandel, denn ge­genwärtig ist die Hälfte der deutschen Touristen 50 Jahre und älter. Davon verbringt gut ein Drittel seinen Urlaub im Inland, Tendenz steigend (RKW 2011 ). Die Generation der Babyboomer wird in den nächsten 10 bis 15 Jahren in Rente gehen, Experten gehen da­von aus, dass diese Senioren mehr Zeit und somit auch mehr Zeit für Reisen zur Verfü­gung haben und künftig mit entsprechenden seniorengerechten Angeboten umworben werden (Leicher 2018).

Ein weiterer Trend bzw. genauer gesagt eine Entwicklung, welche die Tourismusbranche vor große unternehmerische Herausforderungen stellen wird, ist der Klimawandel (Opa­schowski 2008). Er wird vor allem Touristenziele treffen, welche an attraktive Naturland­schaften geknüpft sind. Bekannte Orte am Mittelmeer werden im Sommer zu heiß und trocken werden; andere, weiter nördlich gelegene Orte werden ihren Platz einnehmen (Joly 2012). Touristisch betrachtet wird diese Entwicklung Deutschland zugutekommen, da die Naturlandschaften zwischen den Mittelgebirgen und den Alpen auch in Zukunft für die Freizeit- und Tourismusnutzung attraktiv bleiben werden (Leicher 2018). Ein weiterer Trend kann der Raumentwicklung in Deutschland, vor allem den ländlichen Räumen zu­gutekommen, so dieser sinnvoll angegangen wird: Immer mehr Menschen werden künftig in Städten leben und auf dem Land Erholung suchen (Gladwin 2012; Roth und Schwark 2017).

Angesichts dieses gezeichneten Bildes kommt dem Tourismus dahingehend eine beson­dere Bedeutung innerhalb der Planungsregion Trier zu, als dass sich hier eine Vielzahl der zuvor gezeichneten Szenen wiederfinden. Die Stadt Trier (sowie das engere Umland) ist hoch urbanisiert, der sonstige Raum innerhalb der Region ist jedoch stark ländlich geprägt und verfügt über eine Vielzahl von Naturräumen, welche bereits jetzt touristisch stark ge­nutzt werden. Die Naturräume der Eifel und des Hunsrück bieten sich für die Naherholung und den Wandertourismus an; der Nationalpark Eifel ist bereits als Sternenpark ausge­zeichnet. Die Mosel ist ebenfalls ein beliebtes Ausflugsziel, was sowohl den angrenzenden Naturraum als auch den Flusstourismus (Flusskreuzfahrten) betrifft. Die Hanglagen der Mosel sind zudem ein traditionelles Weinbaugebiet und der Weintourismus ist bereits heute relevant für die Region. Zuletzt finden sich in und um Trier zahlreiche antike Bau­werke der Römer, welche ebenfalls eine Großzahl von Touristen anlocken.

Vorstellbar für die Planungsregion Trier ist demnach eine Erweiterung touristischer Ange­bote mit den Schwerpunkten Naturerlebnis, Wellness, Gesundheit und Digital Detox in den Naturräumen der Eifel, des Hunsrück und entlang der Mosel. Ähnliches ist für touristische Ziele zu erwarten, welche historische Sehenswürdigkeiten erlebbar machen. So könnten Touristen künftig beispielsweise mittels einer speziellen Augmented Reality App die Porta Nigra, das Amphitheater, die Thermen etc. besichtigen und zwischen der Ansicht von heute und der Ansicht einer digitalen Rekonstruktion der Bauwerke wechseln. Sogar in­teraktive Stadtführungen, z.B. durch einen römischen Statthalter, werden so ermöglicht. Begleitet werden solche Angebote durch Informationssysteme wie Übersetzungspro­gramme für ausländische Touristen, welche künftig ihre Urlaube verstärkt im klimabegüns­tigten Rheinland-Pfalz erleben.

Potenziale im Bereich Mobilität am Beispiel der Planungsregion Westpfalz

Digitalisierung und Künstliche Intelligenz versprechen im Bereich Mobilität sinnvolle Lö­sungen und Vereinfachungen von Prozessen durch intelligente Auswertung von Mobili­tätsdaten. Hinzu kommen Innovationen in den Bereichen Sensor- und Navigationstechno­logie, die Vernetzung von Lebensräumen durch das loT und zunehmend das loS (Internet of Services). Vermehrt wird auf den Einsatz von Augmented Reality und Visualisierungs­techniken gesetzt, wie etwa die simulierte tageshelle Straßenführung in der Nacht. Hierbei suchen Unternehmen und Behörden Wege zur intelligenten Vernetzung aller Beteiligten, lokal bis international, sodass auch das (teil-)autonome Fahren in greifbare Nähe rückt (Arndt 2018; Bauer et al. 2018; Flügge 2016).

(Foto: Schwarze)

Zukunftsszenarien im Bereich Mobilität beschäftigen sich neben dem autonomen Fahren und alternativen Antriebstechnologien häufig auch mit der Shared Economy bzw. Shared Mobility. Die Shared Economy, also die gemeinsame Nutzung eines Wirtschaftsgutes wie etwa eines privaten Kraftfahrzeugs, wird prognostisch ein hohes Wachstum erfahren, was die Wertigkeit von Besitz und Nutzung verschieben und die lnfrastrukturnutzung reduzie­ren wird. Neben dem jetzt schon genutzten Car-Sharing wird über weitere Transport- und Beförderungsallianzen reflektiert, beispielsweise die Fusion von Nahverkehr und Paket­dienst in unregelmäßig frequentierten Räumen (Flügge 2016, 1ff; 8). Hieran angelehnt finden sich auch bedarfsorientierte, digital gestützte Konzepte für den öffentlichen Nah­verkehr, die ohne feste Haltestellen und Fahrpläne auskommen und sich an die individu­ellen Ansprüche der Nutzer anpassen (Klötzke 2018).

Dabei ist die Aufrechterhaltung des öffentlichen Nahverkehrs gerade im ländlichen Raum eine ökonomische Herausforderung für viele Kommunen und Gemeinden. Chancen liegen zum Beispiel in Advanced Rural Transportation Systems (ARTS), die Daten über Ver­kehrsaufkommen, Verkehrsverhalten sowie Typisierung und Anzahl von Verkehrsmitteln erfassen, sammeln und auswerten, um Prognosen stellen zu können. Dazu können, bei Zustimmung, die Smartphones der Verkehrsteilnehmer zur Ableitung von Bewegungs­mustern genutzt werden. Es braucht allerdings Empfehlungs- und Entscheidungsparame­ter und darauf aufbauende Betriebsprozesse, die dann auch tatsächlich zu einer Umset­zung führen. Die Auswertung alleine wird nicht ausreichen.

Diese neuen Mobilitätskonzepte sind insbesondere für die Planungsregion Westpfalz re­levant, die durch dichte Waldgebiete (Pfälzerwald) und ausgeprägte Hügellandschaften (Nordpfälzer Bergland) charakterisiert ist und sich überwiegend als ländliche Region prä­sentiert, was Herausforderungen in der Nahversorgung und im Nahverkehr birgt. Die re­lativ geringe Anzahl an Mittel- und Grundzentren verdeutlicht die allgemein dünn besie­delte Struktur der Region (PGW 2013), deren Bevölkerung bis 2035 um 9,9 % zurückge­hen wird (Böckmann et al. 2015).

Soll also die Nahversorgung und die Lebensqualität in ländlichen Räumen wie der Region Westpfalz via Mobilität gewährleistet werden können, müssen zunächst Verkehrsverhal­ten, genutzte Verkehrsmittel und sinnvolle Wertschöpfungsketten eruiert werden. Denkbar ist somit, dass künftig im Sinne der Shared Economy z.B. Fahrten des öffentlichen Nah­verkehrs und Lieferungen von Transportdiensten kombiniert werden, damit eine Versor­gung niedrigfrequentierter Orte effizient gewährleistet werden kann. oder dass sich der Personennahverkehr künftig mittels autonomer Sharing-Taxis durch den Pfälzer Wald be­wegt. Auch könnten, wie in den Digitalen Dörfern, über BestellBar, LieferBar und den Dorf­funk via App Fahr- und Einkaufsgemeinschaften gegründet werden.

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus der „Gutachterlichen Stellungnahme zu den Auswirkungen künstlicher Systeme und der Digitalisierung auf das kommunale Leben in Rheinland-Pfalz 2050“. Die gesamte Studie steht unter ea-rlp.de/earlpdigital2019 zum Download als PDF (88 Seiten, 18 MB) bereit.

Auszug 1 – Künstliche Intelligenz: Konzepte und Technologien
Auszug 2 – Fünf Beispiele: Chancen durch KI in Landwirtschaft, Gesundheit, Ehrenamt, Tourismus und Mobilität in RLP
Auszug 3 – Szenarien für Rheinland-Pfalz: Zwischen Dystopie und Utopie

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