Künstliche Intelligenz (KI) ist in einer sehr frühen Phase in der kommunalen Praxis von Mittelstädten. So lautet das Ergebnis der Studie „KI in Mittelstädten“.
Gefördert von der Entwicklungsagentur Rheinland-Pfalz, haben Autoren vom Fachgebiet Stadtsoziologie der TU Kaiserslautern, vom Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und vom Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering (IESE) in der Studie unter anderem Interviews mit kommunalen Mitarbeitern und Anbietern von KI-Dienstleistungen ausgewertet. Die Studie wurde im Mai 2021 veröffentlicht und umfasst 130 Seiten.
Die Studie wurde 2020 erstellt, um Hindernisse bei der digitalen Transformation in Politik und Verwaltung zu benennen, zu identifizieren, welche funktionierenden Prozesse bereits etabliert sind, und wie Unterschiede im Einsatz neuer Technologien im Städtevergleich erklärt werden können. Fragen waren:
- Welche Kompetenzen und Stellen sind in den Rathäusern von Mittelstädten verfügbar, um die digitale Transformation zu gestalten? Wie sind die Prozesse gestaltet? Wie sehen Personalstrategien für die Digitalisierung der Verwaltung aus?
- Gibt es nationale und internationale kreative Beispiele von KI-Nutzungsmöglichkeiten und Vorgehensweisen?
- Gibt es Unterschiede in der Nachfrage nach bestimmten Diensten, Beratungen, Kompetenzen, Infrastrukturen zwischen Großstädten und Mittelstädten, insbesondere kleinen Mittelstädten?
- Kann das Land eine relevante Rolle zur Unterstützung von Städten und Gemeinden einnehmen (zum Beispiel, wenn die vom Bund angekündigte Unterstützung zur Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes ausbleibt)?
Mittelstädte
Mittelstädte sind neben den Kleinstädten typische Städte des bundesdeutschen Siedlungssystems. Es gibt dabei lediglich eine quantitative Bestimmung von Mittelstädten, die eine Spanne von 20.000 bis 100.000 Einwohner umfasst. Ein Drittel der deutschen Bevölkerung lebt in Mittelstädten, in Rheinland-Pfalz sind es rund 720.000 Personen.
Bei den Organisationsstrukturen zeigte sich, dass es in allen Verwaltungen kompetente Ansprechpartner gibt, häufig in einer leitenden Position angegliedert am Hauptamt/Hauptabteilung, die Digitalisierungsprozesse koordinieren. In mehreren Kommunen wurde die Stelle innerhalb der letzten zwei Jahre neu geschaffen und neue Stellen sind ausgeschrieben. Überwiegend liegt ein verwaltungsinterner Karriereweg vor und Digitalisierung ist meist nicht die einzige Arbeitsaufgabe. Maximal ist der Bereich mit zwei Personen besetzt. Es gibt verschiedene Vernetzungsangebote, von der alle befragten Kommunen mindestens eines nutzen. Einige Kommunen sind Teil des „Interkommunalen Netzwerks Digitale Stadt RLP“ (IKONE DS).
Als technische Basis verwenden die meisten Verwaltungen eine Windows-Server-Umgebung mit Microsoft-Office-Produkten. Eigenentwicklungen und Open-Source-Produkte sind selten anzutreffen, in der Regel werden Anwendungen von externen Anbietern eingekauft und dann durch die IT-Abteilung an die Bedürfnisse der Verwaltung angepasst. Fachbereiche nutzen verschiedene Fachverfahren angepasst an ihre Ausrichtung. Das Portal rlpDirekt wird von mehreren Kommunen für E-Governance-Services genutzt. Nutzungsszenarien mit KI sind teilweise bekannt, der konkrete Einsatz von KI ist jedoch noch nicht in Planung.
Schwerpunktthema in den Digitalisierungsvorhaben der Mittelstädte ist die Einführung des Onlinezugangsgesetzes (OZG). Als Marker des aktuellen Stands wurde die Implementierung und Nutzung eines DMSs (Datenmanagementsystem) identifiziert, das als Basis für weitere Digitalisierungsmaßnahmen zu bewerten ist. Anstoß und Initiative für Projekte erfolgt seitens verschiedener Akteure, zum Beispiel durch gesetzliche Vorgaben, andere Fachabteilungen, (Ober)Bürgermeister oder Netzwerke. Es gibt kaum Projekte innerhalb der Verwaltungen, die über Fördermittel finanziert werden.
Viele Verwaltungen verfügen nicht über Digitalisierungsstrategien; vereinzelt liegt eine Meilensteinplanung vor. Orientierung geben die Haushaltspläne, die sich über ein Kalenderjahr erstrecken.
Gesetzliche Vorgaben erleichtern die Durchführung von Digitalisierungsprojekten, da sie dann im Haushaltsplan mit eingeplant und finanziert werden müssen. „Freiwillige“ Projekte werden aus Kostengründen oft aufgeschoben. Kleinere Kommunen rechnen bei der Umsetzung des OZGs vor allem mit Unterstützung durch eine IT-Infrastruktur des Landes.
Alle befragten Kommunen sehen den Prozess der Verwaltungsdigitalisierung nicht nur als Notwendigkeit, sondern als Mehrwert: Digitalisierung und KI vereinfachen und beschleunigen Arbeitsabläufe, schaffen mehr Transparenz und weniger Redundanz in den Tätigkeiten. Somit bleiben mehr Kapazitäten für komplexere Aufgaben und die Verwaltung wird insgesamt verschlankt.
Herausforderungen sehen die Interviewpartner im Bereich der Datensicherheit und der Durchsetzung des Datenschutzes. Bedenken existieren im Kontext der Transparenz, die zu mehr Kontrolle und Überwachung führen kann. Ferner darf die „Digital Divide“ nicht verschärft werden. Es wird nicht damit gerechnet, dass die Digitalisierung Einsparungen im finanziellen Sinne bedeutet, da die Folgekosten der Technik miteingerechnet werden müssen.
Die Covid-19-Pandemie wirkt sich sowohl förderlich als auch hemmend auf die Digitalisierungsprozesse der Verwaltungen in Mittelstädten aus. Einerseits sind Home-Office, Online-Konferenzen und eine entsprechende digitale Infrastruktur selbstverständlich geworden, andererseits wurden Projekte verschoben und vor allem Vernetzungstreffen sind ausgefallen. Welche finanziellen Folgen die Covid-19-Pandemie auf die kommunalen Haushalte und Mittel für die Digitalisierung hat, wird sich noch zeigen.
Anbieter von KI-Diensten
Der Markt kommunaler KI-Dienste und Dienstleistungen gewinnt zusehends an Relevanz. Zum aktuellen Zeitpunkt ist er zwar weder von einer übermäßigen Anzahl von Anbietern noch von einer unüberschaubaren Menge an Produkten gekennzeichnet – nichtsdestotrotz ist die Lage hinsichtlich der aktiven Akteure wie auch ihrer Angebote momentan noch recht unübersichtlich. Daher bestand das Ziel darin, einen Beitrag zur Identifikation von relevanten Anbietern, deren Kompetenzen und bisher gemachten Erfahrungen zu leisten.
Zu diesem Zweck wurde eine Recherche durchgeführt, die 31 Anbieter von KI-bezogenen Lösungen und Dienstleistungen für den kommunalen Markt zutage förderte. Davon machen KMU mit KI-Startups, Kleinbetrieben und einem mittelständischen KI-Entwickler den größten Anteil aus, gefolgt von Großunternehmen aus dem Bereich kommunaler IT-Produkte und -Dienstleistungen. Zu erwarten ist allerdings, dass auch große Consulting- und Lösungshäuser in Zukunft verstärkt den Themenbereich kommunaler KI bedienen werden. Die kleinste, aber deswegen nicht weniger relevante Gruppe besteht aus international tätigen Technologiekonzernen. Nicht nur der große Anteil junger Kleinunternehmen verdeutlicht, dass es sich um einen dynamischen Markt handelt, weshalb der eingangs vorgestellte Überblick keine Vollständigkeit beansprucht und es die Liste weiter fortzuschreiben gilt.
Momentan erhältliche Lösungen basieren vorrangig auf verschiedenen Formen des maschinellen Lernens. Die wichtigsten Anwendungsfelder, die aktuell abgedeckt werden, sind die Bereiche Bürgerdienste und Kommunikation, verwaltungsinterne Prozessoptimierung sowie Dienste für kommunale Aufgabenbereiche wie Infrastruktur (Maintenance, Energie) und Sicherheit. Dabei wurden konkrete Dienste nicht unbedingt direkt für den öffentlichen Sektor entwickelt, sondern es handelt sich häufig um abgewandelte und angepasste Tools aus dem Business- bzw. Corporate-Segment. Beiden Marktsegmenten ist jedoch gemeinsam, dass KI-Lösungen in der Regel keine schlüsselfertigen Produkte darstellen. Vielmehr müssen sie zumeist individuell auf die Gegebenheiten der Kunden angepasst werden, was mit hohen Kosten für das Customizing verbunden ist und ein gewisses Maß an verfügbaren Ressourcen voraussetzt. Sowohl bei der technischen Konzeption von Lösungen als auch bei der für Anschaffung und Betrieb notwendigen Infrastruktur- und Ressourcenausstattung stehen mittlere und kleinere Kommunen weniger im Fokus der Unternehmen.
Dennoch können KI-Technologien nicht pauschal als unpassend für mittlere und kleinere Kommunen bezeichnet werden. Anwendungen und stark spezialisierte Lösungen, die ohne großen Aufwand bezüglich der Integration in umfassende Dateninfrastrukturen auskommen, sind zwar noch selten, dafür aber auch für kleinere kommunale Einheiten geeignet. Was umfassendere KI-Lösungen angeht, ist die Lage bezüglich der Skalierbarkeit teils ambivalent: Auf der einen Seite stehen vergleichsweise komplexe Softwaretechnologien, die Fragen der Ressourcenintensität, ungleich verteilten Wissens sowie eines geringen Grads an Standardisierung bezüglich Dateninfrastrukturen und Verfahren nach sich ziehen. Andererseits sind die grundlegenden Leistungen, die von Kommunen und ihren Verwaltungen auf den jeweiligen Ebenen zu erbringen sind, und die damit verbundenen Prozesse die gleichen.
Vieles deutet aktuell darauf hin, dass es bezüglich des Einsatzes von KI-Technologien in kommunalen Kontexten zu einer Trickle-down-Entwicklung kommen kann, wie sie beispielsweise auch im Smart-City-Bereich stattfindet. Lösungen werden zunächst auf größere öffentliche Einheiten zugeschnitten und dort eingesetzt. Nach und nach werden diese dann auch – wo sinnvoll – an die Herausforderungen und strukturellen Bedingungen kleinerer Einheiten angepasst. Eine wesentliche Bedeutung kommt Standardisierungsmaßnahmen zu: Einerseits gilt es, auf Anbieterseite die Komplexität der Implementierung von Anwendungen so gering wie möglich zu halten. Andererseits wird KI in Kommunen durch standardisierte Verfahren und Dateninfrastrukturen sowohl kostengünstiger als auch einfacher handhabbar. Grundlegend ist bei alledem aber die lösungsbezogene Anwendung von KI-Technologien mit konkreten Mehrwerten und nicht die Technologie als Selbstzweck.